
Eigentlich schien dieser Mittwochmorgen wie alle vorherigen auch.
Clementine Edzard, Betreuungskraft in Teilzeit bei der Senioren- und
Familienbetreuung Hendricks GmbH & Co. KG in Bremen, fuhr wie üblich mit
dem Fahrrad zum Ehepaar Höpfner. Dort angekommen, parkte sie den Drahtesel
neben der Haustüre, streifte die Jacke glatt und klingelte.
Schon der Empfang an der Haustür ließ erahnen, dass dieser
Tag anders verlaufen würde - und sogar zu einem besonderen werden könnte. Die
Ehefrau des 84-jährigen Kunden empfing sie aufgeregt mit den Worten: „Oh, guten
Morgen, Frau Edzard! Schauen Sie mal auf die Terrasse – Sie werden es nicht
glauben!“ Und tatsächlich – im Garten wartete eine Überraschung. „Auf einmal
waren sie da“, berichtete Frau Höpfner. Mit „sie“ waren eine Entenmutter und 14
Küken gemeint, die im Garten hin und her watschelten. Da der Garten von einer
hohen Mauer umgeben war und die Kleinen noch nicht fliegen konnten, war die
gefiederte Familie gefangen. Der Weg zum nächsten Gewässer war versperrt. „Die
Entenmutter muss die ganze Zeit unbemerkt unter einem unserer
Rhododendronsträucher gebrütet haben“, war sich Frau Höpfner (83 Jahre) sicher.
Herr Höpfner, der noch beim Frühstück saß, wurde von Frau
Edzard ermuntert, seinen Stuhl vor die Terrassentür zu setzen. Von dort konnte
er das unterhaltsame Schauspiel gut beobachten, was ihm sichtlich Vergnügen
bereitete.
So niedlich die unbeholfenen Küken auch anzuschauen waren –
allein würden die Tiere nicht zurechtkommen. Deshalb stellte Clementine Edzard
gemeinsam mit Frau Höpfner drei Suppenteller voll Wasser als erste Hilfe in den
Garten, da etwas Größeres gerade nicht griffbereit war. Flugs eroberten die
Küken das rettende Nass und es wurde nach Herzenslust geplanscht, gebadet und
getaucht. Erst als sich die Kleinen ausgetobt hatten, gönnte sich Mutter Ente eine
Erfrischung.
Clementine Edzard und Familie Höpfner wollten es dabei aber nicht
belassen. Jetzt mussten die Tiere aus ihrem selbstgewählten Gefängnis befreit
und in ihren natürlichen Lebensraum „überführt“ werden. Nur… wie?
Da kam Clementine Edzard eine Idee: Sie bat die Höpfners,
ihre Brotvorräte aus der Küche zu holen. Herr Höpfner wurde schnell spazierfertig
angezogen und Betreuungskraft und Kunde begaben sich durch die hintere
Gartentür auf die Straße. Dort legten sie gemeinsam - fast wie bei Hänsel und
Gretel - eine „Brotspur“, die in den nahegelegenen Park führte. Glücklicherweise
funktionierte der Plan: Bereitwillig folgte die ganze Entenfamilie, um nur jede
Brotkrume zu erwischen. Offensichtlich waren die Tiere sehr hungrig, es war
höchste Zeit, sie ans Wasser zu locken. Nachdem die Straße sicher überquert
wurde, verschwand Familie Ente im Gebüsch des Parks. Geschafft – vor Freude
klatschten Herr Höpfner und Frau Edzard in die Hände. Aber ein bisschen
wehmütig waren sie schon, dass sie die putzigen Küken nicht mehr so gut beobachten
konnten.
In der Folgezeit gingen Clementine Edzard und Herr Höpfner
regelmäßig im Park spazieren und hielten Ausschau nach ihren ehemaligen Schützlingen
– aber vergeblich. Nach zehn Tagen aber erblickten sie eine Entenmutter mit
etwa zehn Jungenten. Das mussten sie sein, denn sie zeigten sich auffällig
zutraulich, beinahe berührten sie mit den Schnäbeln die Schuhe ihrer Retter.
Und obwohl es dieses Mal kein Brot gab, blieben die Wasservögel und dösten friedlich
in der Sonne. Seither sind die Begegnungen der entenhaften Art einer der
Höhepunkte bei jedem Parkspaziergang.
Geschichten wie diese sind es, die Betreuungskraft und Kunde
oft noch enger zusammenbringen und das Betreuungsverhältnis in jeder Hinsicht
einfach persönlicher machen – ganz einfach von Mensch zu Mensch.